unterwegs in Hamburg - Pedalpilot Doppel-Zwo

Montag, 9. März 2015

Habt ihr euch schon mal Gedanken über den Alltag eines Fahrradkuriers gemacht? Ihr wisst schon, ich meine diese Typen mit den werbebedruckten Rucksäcken, die auf ihren Rennrädern meistens schneller vorbeigflitzt sind als man gucken oder gar den Werbeaufdruck lesen kann. - "Aha, irgendein Kurierdienst, irgendwas Eiliges, nicht für mich ..." - Oder doch?

Ich gebe zu, dass ich kaum mehr als ein vages Bild von tief über den Lenker gebeugten und rucksackbepackten Rennradfahrern im Kopf hatte, als ich mich kürzlich für ein paar Tage unter die Fahrradkuriere gemischt habe. Echt jetzt! Ich war unterwegs mit den Jungs und Mädels der Hamburger Kurierszene, habe Dokumente und anderen Kleinkram von A nach B oder C befördert, von morgens bis abends in die Pedale getreten und mir zwischendurch am Rathausmarkt die Beine in den Bauch gestanden, bis der Funker den nächsten Auftrag durchgab, um dann wieder loszudüsen und mich bei eisigem Wind durch das mir unbekannte Hamburger Straßennetz zu wurschteln. - Mannomann, was hab ich mir da nur eingebrockt?!


Okay, immerhin war ich nicht allein zwischen Landungsbrücken und Binnenalster, sondern hatte einen "echten" Radkurier an der Seite - den Pedalpiloten Doppel-Zwo. Außerdem verbrachte ich mein Fahrradkurier-Praktikum ganz gemütlich auf dem Sofa - und der besagte Pedalpilot ist auch nicht wirklich auf Hamburgs Radwegen, sondern im gleichnamigen Roman unterwegs. Schnell, direkt und echt. 


So echt, dass ich mit jeder Buchseite weiter hineingeradelt bin in eine Welt, in der Gemütlichkeit sich auf einen kurzen Schnack nach anstrengendem Kurieralltag beschränkt, der nie enden wollende Verschleiß zur Reduzierung auf das Notwendige zwingt und romantische Vorstellungen von der großen Fahrradfreiheit schnell auf der Strecke bleiben:

"Um fünf nach neun stand er an der Binnenalster und wartete auf einen neuen Auftrag. Er hatte einen Umsatz von 23 Euro und 75 Cent in der Tasche. Wenn es um Zahlen ging, war er exakt. In seinem Kopf klackerte permanent eine Zähluhr, die Monats- und Tagesumsatz, den gegenwärtigen Stundenlohn und Gewinn anzeigte, Ausgaben aufaddierte und Alarm schlug, wenn er vom Haben ins Soll rutschte.
Kollege Zwo-Sieben, Jochen, ein diplomierter Architekt, für den sein Jahr als Kurier sein Lebenstraum war, den er ausschließlich bei Sonnenschein und Temperaturen über 15°C auslebte, sagte, dass der Kurierjob viele Vorteile hatte, Geld verdienen aber nicht dazu gehörte. Johannes gab ihm recht."


Pedalpilot Doppel-Zwo ist der Debütroman von Wolf Schmid,
der mit diesem Buch eine Liebeserklärung an den Kurierjob abliefert. 


Von 2005 bis 2006 war er selbst als Fahrradkurier für eine der ältesten Hamburger Kurierbuden unterwegs, danach noch ein paar Jahre in München. Und ich musste gar nicht lang betteln, um ein paar herrlich-banale Bilder aus dieser Zeit von ihm zu bekommen ...


Verschleiß, Warten-auf-den-nächsten-Job und Fahrstuhlbilder -
Kurieralltag eben.


Aber was schreib ich da eigentlich für eine Rezension, in der ich mit keinem Wort die Geschichte erwähne, die sich zwischen den rasanten Fahrten im leicht absurden Kurieralltag abspielt? Eine Vater-Sohn-Geschichte, die von Wolf Schmid ebenso schnörkellos und doch mit feinem Gespür erzählt wird, wie´s eben üblich ist unter Pedalpiloten.

"Er schaute die beiden Poster an der Wand gegenüber an. Banksy und Tom Waits waren ihm kein Begriff. Aber er fand, der Affe mit der Bombe und der alte Mann ähnelten einander."

Wahrscheinlich sollte ich darüber auch noch was erzählen, aber ich lass das mal sein. Weil mich das Buch allein schon dadurch begeistert, dass ich die Kurierszene kennen- und auch ein bisschen liebengelernt habe. Weil´s einfach so war, als wär ich wirklich dort gewesen und hätte mir Blasen an die Füße gefahren. Und weil mir die damit verbundenen Schmerzen zum Glück erspart geblieben sind.
Unbedingt erwähnen will ich aber noch das wunderbar fahrradmäßige Cover, die Hamburg-Map im Umschlaginnern und das literarische Glossar - für mich ein Highlight, wie die Kuriere selbst "ihr Hamburg" beschreiben.



Um euch nochmal richtig neugierig zu machen, hier noch ein Schmankerl, grad entdeckt:
der Buchtrailer zu Pedalpilot Doppel-Zwo



"Pedalpilot Doppel-Zwo" von Wolf Schmid (273 Seiten + literarisches Glossar, 14,95 Euro) ist erschienen im Liesmich Verlag Leipzig und kann hier bestellt werden.
Sehr cool: im Stadtgebiet von Leipzig erfolgt die Lieferung per Fahrradkurier. Passt.

Bis bald!
diefahrradfrau
Vielen Dank an den Liesmich Verlag für das Rezensionsexemplar und an Wolf Schmid für die Kurierbilder!

10 Kommentare:

  1. Hört sich super an, ich glaube das wandert auf meine Wunschliste :-)
    Danke für den Tipp!
    LG, Sarah

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  2. Ich habe mal über Fahrradkurriere eine Sendung im Fernsehen gesehen...war hochinteressant...und ich habe mir danach gesagt...wäre kein Job für mich...;-). LG Lotta.

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  3. Hehe... Ich hatte für einen Moment ein "Echt-jetzt?"-Gedanke... Du Scherzkeks.
    Diese Geschwindigkeit eines Kurierfahrers im Stadtverkehr wäre mir auch nichts. Dafür sind mir die anderen (Autofahrer vor allem) zu rücksichtslos... Aber den Buchtipp merke ich mir auch mal...
    Liebe Grüße, Anne-Marie

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  4. Eine tolle Buchempfehlung ! m ersten Moment dachte ich auch: Das macht sie auch noch...,aber die Geschwindigkeit , mit der die Fahrradkuriere unterwegs sind ist wohl nicht so unser Tempo, oder ?
    lG Silke

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  5. Da strampelst du dich wahrsten Sinne des Wortes für dein Arbeitslohn ab.
    Deine Buchvorstellung ist sehr interessant, gerade für mich, wo ich in Hamburg lebe. Für den Job, als Fahrradkurier, habe ich großen Respekt, denn kein Zuckerschlecken auf Hamburgs Straßen.
    LG Kirsten

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  6. Das ist ja mal eine Rezension!Ich habe gestern erst mein Fahrrad geölt und mich gefreut,dass das Wetter wieder wird!
    Und jetzt deine Buchvorstellung! Ich habe die Jungs und die wenigen Mädchen schon öfter im Straßenverkehr bewundert. Ich kann es ihnen auch manchmal echt nicht verdenken, das sie Verkehrswidrig fahren.
    Wieder radelnde Grüße,
    Andrea

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  7. Ein Buch, wie für dich geschrieben! :) Das Cover und der Stadtplan sind wirklich toll, ganz nach meinem Geschmack! Und dass die Bücher (zumindest in Leipzig) per Fahrradkurier ausgeliefert werden ist ja wohl mal mehr als genial! :D

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  8. Das klingt interessant! Danke für die Rezension - ich habe es am Anfang fast geglaubt:) und für die Fotos!
    Liebe Grüße,
    Attila

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  9. Genial. Ich finde Fahrradkuriere echt mega-mutig. Schon beim Lesen *als ich mich kürzlich für ein paar Tage unter die Fahrradkuriere gemischt habe* bekam ich ziemlich heftige Schnappatmung. Nicht wirklich meine Welt, klingt aber trotzdem sehr interessant.
    Danke für den Tipp!

    Alles Liebe,
    Sonja

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  10. ich finde ja, dass fahrradkuriere echt gefährlich leben - wenn ich sie manchmal in berlin oder hamburg zwischen den autos gesehen habe, ist mir manchmal echt schlecht geworden! ich möchte ja nicht wissen, wieviele von ihnen schon auf der unfallstation gelandet sind...
    vielleicht muss ich aber das buch lesen, um einen anderen eindruck zu bekommen!!
    liebe grüße, mano

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