world wide wheeling - Kreta / Griechenland

Freitag, 7. Februar 2014

die Idee: eine Fahrradtour um die Welt
die Teilnehmer: alle Blogger, die gern dabeisein wollen
das Gepäck: Erfahrungen & Eindrücke rund ums Rad von überallher
die Route: immer offen, bestimmen die Teilnehmer
der Zeitplan: seit Dezember 2012 - solange es uns gefällt
die bisherigen 23 Etappen und 3 Specials könnt ihr hier finden

Der heutige Beitrag zu unserer virtuellen Radtour um die Welt hat einen besonderen Hintergrund: Christof ist tatsächlich um die Welt geradelt und erzählt von einer Begegnung, bei der ein Fahrrad eine nicht ganz unwichtige Rolle spielte...

"world wide wheeling" - unsere Fahrradtour um die Welt - Kreta / Griechenland

Schnecken in Tomatensauce oder mit dem Rad durch Kreta

Seit ich als Kind einen Schwarzweiß-Bildband über die Lassithi-Hochebene auf Kreta in die Hand bekam, wollte ich dort hinreisen. Das Buch zeigte Aufnahmen vom ländlichen Leben wie man es in meiner fränkischen Heimat schon lange nicht mehr findet. Bilder einer griechischen Idylle – Eselgespanne auf unasphaltierten Wegen, Kreter mit wettergegerbten Gesichtern und Windräder mit weißen Segeln, die das Wasser auf die Felder hochpumpen.

Ein Vierteljahrhundert, nachdem ich den Bildband in der Hand hatte, stehen Dagmar und ich nach mehrstündiger Auffahrt auf dem Plateau. Es liegt inmitten einer schönen Landschaft auf 830 m Höhe und ist von den Gipfeln des Dikti-Gebirges eingeschlossen. Trotzdem bin ich enttäuscht. Meine Erwartungen stimmen nicht mit der Wirklichkeit überein. Anstelle von Eselgespannen kommen uns klimatisierte Reisebusse entgegen. Anstelle in wettergegerbte Gesichter blicken wir in die blasser Touristen. Und selbst die Windräder scheinen längst durch effektivere, aber unromantische Dieselpumpen ersetzt worden zu sein.

Als wir mittags durch ein Dorf fahren, kommen wir an einer kleinen Taverne vorbei. Die Wirtin steht davor und wartet auf Gäste. Ihr Gesicht ist wettergegerbt. Überrascht steigen wir von den Rädern und setzen uns in das leere Lokal. Die alte Kreterin ist nicht gerade freundlich. Auf unser „jassas“ reagiert sie nur mit einem Nicken. Kommentarlos serviert sie uns griechischen Salat und Kartoffeln – die einzigen Gerichte auf der Karte. Die Portionen sind klein, viel zu klein für uns hungrige Radler. Doch die einfachen Speisen schmecken derart köstlich, dass Dagmar der Wirtin ein „poli oreo“, griechisch für „sehr gut“, zuruft, was diese mit einem Lächeln registriert.

Kaum sind wir mit dem Essen fertig, kommt ein grauhaariger Mann auf einem Fahrrad die Dorfstraße hinabgerollt. Er lehnt das museumsreife Gefährt an die gegenüberliegende Hauswand und betritt die Taverne. Er begrüßt die Wirtin, offensichtlich seine Ehefrau, und setzt sich an den Tisch neben uns. Von dort mustert er uns genauso eindringlich wie zuvor unsere schwer bepackten Räder vor der Tür.






Stets auf der Suche nach schönen Motiven gehe ich nach draußen und fotografiere das Fahrrad des Kreters. Ich staune nicht schlecht, als mir plötzlich eine Frau auf einem Esel und mit einer Ziege im Schlepptau ins Bild läuft. Wieder zurück im Lokal grinst mich der Alte an. Dass Touristen mit eigener Muskelkraft den weiten Weg von der Küste in sein Dorf auf sich nehmen, erlebt er nicht alle Tage. Dass sich dieselben Touristen auch noch für sein Strahlross interessieren, kam ihm wohl noch gar nicht unter. Vermutlich fährt er es, seit die Aufnahmen in dem Schwarzweiß-Bildband gemacht wurden.

So bricht urplötzlich der Bann. Dagmar beginnt ein reges Gespräch mit dem alten Mann, soweit dies mit Händen, Füßen und fünfzig Wörtern Griechisch möglich ist. Mit Englisch braucht man es in dieser Ecke Griechenlands erst gar nicht versuchen. Ich nehme all das entgegen, was die nun ebenfalls gelöste Wirtin nach und nach an den Tisch bringt. Berge an dampfenden Kartoffeln. Knuspriges Brot. Zwei Gläser Rotwein, die sofort aufgefüllt werden, sobald sie halbleer sind. Und eine Schüssel bis zum Rand gefüllt mit Schnecken in Tomatensauce. Zuhause würden wir Weichtiere freiwillig nie verzehren. Doch unter den erwartungsvollen Augen des Wirtsehepaars, das sich mittlerweile zu uns gesetzt hat, gibt es kein Entrinnen. Zum Glück versteht die Köchin ihr Handwerk. Die Kombination aus zartem Schneckenfleisch, reifen Tomaten, reichlich Knoblauch und frischen Kräutern ist derart delikat, dass sich der Geschmack für den Rest meines Lebens in meine Erinnerung einbrennen wird.

Als alles brav aufgegessen ist, wollen die beiden Alten uns noch zu ein paar Gläschen selbstgebranntem Raki überreden. Doch wir müssen ablehnen. Es liegen noch 40 Kilometer bis zum Etappenziel vor uns. Beschwipst sind wir vom vielen Wein sowieso schon, was das alte Paar sichtlich amüsiert. Auch dass wir den Geldbeutel hervorziehen, um die Rechnung zu begleichen, findet es urkomisch. Natürlich sind wir eingeladen.

Zum Dank reichen wir den beiden Kretern ein Foto, das uns auf den Fahrrädern in Frankreich zeigt und wir für solche Begegnungen in der Tasche haben. Gerührt nehmen sie es entgegen und heften es zu den Familienbildern an die Wand. Dann verabschieden uns mit zahlreichen „adio“ und „efcharisto“. Unsere Gastgeber haben Tränen in den Augen. Wir steigen auf die Räder und fahren los. Im Rückspiegel sehe ich wie die beiden vor der Taverne stehen und uns nachschauen, bis wir irgendwann außer Sichtweite sind.

Kurz bevor wir die Lassithi-Hochebene Richtung Agios Nikolaos verlassen, stehen sie dann plötzlich doch noch vor uns. Nicht in Schwarzweiß, sondern in Farbe. Gleich mehrere zudem und von enormen Ausmaß: Windräder, bespannt mit weißen Segeln.







Christof

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Was für eine wundervolle Geschichte! Ganz herzlichen Dank an Christof, der uns zu gern auch noch die Windräder gezeigt hätte, wenn ihn nicht ausgerechnet beim Anblick der weißen Segel ein aufkommender Sturm zur Weiterfahrt gezwungen hätte...
Christof Herrmann ist freier Autor und bloggt auf Einfach bewusst über Minimalismus und Nachhaltigkeit im Alltag und auf Reisen. Die Geschichte auf Kreta erlebte er vor acht Jahren auf einer anderthalbjährigen Radweltreise mit seiner damaligen Partnerin. Heute lebt er in Franken und verspeist als Veganer keine Schnecken mehr.


***
Ihr wart auch unterwegs und habt etwas rund ums Radeln zu erzählen? - Super! Macht mit bei world wide wheeling und zeigt in einem Gastbeitrag, was ihr zum Fahrradthema irgendwo auf dieser Welt gesehen und erlebt habt! Viele Fahrräder oder einzelne Szenen - ganz egal! Ich freue mich über Radelgeschichten aus aller Welt. Meldet euch einfach per Mail: diefahrradfrau@gmail.com

Noch Fragen? Alle Infos gibt es hier!

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Bis bald!
diefahrradfrau

13 Kommentare:

  1. Was für eine schöne Geschichte...
    Herzlichst
    yase

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  2. Hach, wie schön, ich glaub ich muss los...
    ganz liebe Grüße Ines

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  3. Ja, toll, es gibt sie noch, diese ursprünglichen Momente und Orte in Griechenland! Ich muss wieder da hin!! Liebe Grusse Barbara

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  4. sehr sehr ehrliche und schöne geschichte, bin ganz gerührt! der blog klingt auch interessant, da schau ich doch mal vorbei. es tut mir so leid aber mit fahrrädern hab ich bisher immer noch nicht wirklich kontakt gehabt hier..die meisten leute nutzen eben busse, pickups, tuc tucs oder pferde.. so gerne ich auch einen beitrag für die reihe schreiben würde :(

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  5. Ich bin ganz beeindruckt von der Geschichte und welche Wendung sie im Verlauf des Erzählens genommen hat. Manchmal braucht es nicht viele Worte nur ein offenes Herz um einander zu verstehen.
    LG Sabine

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  6. Liebe yase, inessel, dramaqueenatwork, Marike und sabine,

    mit so viel positivem Feedback hätte ich nicht gerechnet. Umso mehr freue ich mich :-) Danke!

    Viele Grüße aus Franken

    Christof

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  7. ich bin richtig gerührt von dieser geschichte!
    ich war vor 10 jahren auf kreta (ohne fahrrad) und wir haben in einer berggegend viele von diesen alten windmühlen entdeckt (nicht auf der lassi ebene und völlig touri-frei) und sind dort auf einen schäfer getroffen, der auch erst sehr muffig war, aber durch viel lächeln und mit den händen reden, war er zum schluss unserer begegnung auch total liebenswert.
    herzliche grüße, auch an christof,
    mano

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  8. Wirklich schön - mir sind sogar ein paar kleine Tränen hochgestiegen: Es ist ein berührender Moment, wenn man es schafft, vom Touristen zum Gast oder gar zum Freund zu werden... und das eine oder andere Mal ist uns das auch gelungen auf unseren Reisen... daran denke ich gern zu rück, und das hat diese Geschichte unter anderem geschafft. Auch an die Lassithi-Hochebene hab ich zurückgedacht - dort hab ich vor 21 Jahren einem steinalten Mann übrigens "Dictamnus" abgekauft http://de.wikipedia.org/wiki/Diptam Ich hatte keine Ahnung, was ich mit diesem Kraut anfangen sollte (ist es Tee, ist es ein Gewürz?); der zahnlose Alte sagte immer nur "Dictamnus, Dictamnus!", hielt mir den Beutel hin und rieb sich den Bauch, also ging ich davon aus, dass es ein Heilkraut ist und kaufte ihm einen Beutel ab. Daheim machte ich mir dann Tee damit, weil mir jemand sagte, dass dieses Kräutlein dafür gedacht sei, aber er schmeckte mir nicht wirklich. Inzwischen habe ich gelesen, dass Diptam oder "Dictamnus" einst als Arznei verwendet wurde, aber heute aufgrund gewisser giftiger Inhaltsstoffe nicht mehr medizinisch angewendet wird (wobei ich denke, "Gift" ist fast immer eine Frage der Dosis...)
    Ganz ganz herzliche Wochenendgrüße!
    (⁀‵⁀,) ✿
    .`⋎´✿✿¸.•°
    ✿¸.
    Alles Liebe, Traude

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  9. Wow. Was für ein wundervoller, wundervoller world wide wheeling Beitrag! Großes Lob an Christof, der wirklich super schreiben kann. Ich war richtig berührt von der Geschichte. Einfach toll!

    Liebe Grüße,
    Jenni

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  10. So viel Lob und herzliche Worte von Euch :) Danke!

    Einfach bewusste Grüße

    Christof

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  11. Liebe Christiane
    Das ist wirklich eine ganz rührende Geschichte. Wunderschön und vielen Dank für diesen tollen Beitrag.
    Einen guten Wochenstart und alles Liebe wünscht Dir Yvonne

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  12. Die Geschichte habe ich mit viel Freude gelesen. Ich war vor vielen Jahren mit meinem Mann als Rucksacktouristen auf Kreta unterwegs. Da kann ich mir manche Beschreibung sehr gut vorstellen :-)
    Auch von mir ein Danke an Christof

    Lieber Gruß von Heidi-Trollspecht

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  13. Danke Yvonne & Heidi-Trollspecht :-)

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Vielen Dank für deinen Kommentar!