So ähnlich erging es Indre von M i MA, die in einem Gastbeitrag zu meiner Reihe Stadt-Land-Rad zeigen wollte, wo sie so mit dem Fahrrad unterwegs ist. Doch dann entdeckte sie, dass ihr Weg zur Arbeit auf den Spuren einer der größten Popikonen unserer Zeit verläuft, begann zu recherchieren und grub sich immer tiefer in die Geschichte einer der interessantesten Straßen Berlins ...
Die Tour de Berlin wurde zur Tour de Temps. Und auf diese Tour möchten Indre und ich euch mitnehmen: Wir werden ab heute jeden Mittwoch einen Streckenabschnitt vorstellen, bis wir gegen Jahresende (!) am Ziel sind.
Heute lernt ihr hier die Route und das erste Teilstück kennen und könnt bei Indre erfahren, was David Bowie damit zu tun hat.
Hauptstraße 155 in Berlin Schöneberg - Foto: Detmar Owen via Wiki Commons |
Hier nun Indres erster Beitrag:
Die berlinerischste Straße der Stadt
Die berlinerischste Straße der Stadt
Die Potsdamer Straße ist nicht nur eine der verkehrsreichsten, sie ist auch eine der
geschichtsträchtigsten Straßen Berlins. Man nimmt es jedoch kaum wahr im Rauschen
der Gegenwart, diesem Potpourri der Widersprüche aus Verkehrslärm und
Marktgeschrei, Altbaucharme und Neubautristesse, schönen Künsten und niederer
Kultur. Hier spiegelt sich die kurze Geschichte der Großstadt Berlin – wie die Welt in
einer Nussschale – wider, garniert mit so manchen Halbwahrheiten und Mythen. Dazu
zählt beispielsweise die Legende ihrer überregionalen Bedeutung als Teilstück des
Handelsweges von Aachen nach Königsberg. Das ist, wie die Autoren des Buchs Die
Potsdamer Straße. Geschichten, Mythen und Legenden, Sybille Nägele und Joy Markert
richtigstellen, eine Erfindung der Nationalsozialisten, die mit der historischen
Wirklichkeit nur wenig gemein hat. Die besagte Handelsstraße führt über Magdeburg.
Berlin ist im Mittelalter ein unbedeutendes Dorf. Das ‚Areal um den Schafgraben, heute
Landwehrkanal, [war] ein Überschwemmungsgebiet und die Straße für Gefährte und
Fußgänger kaum passierbar.´(Ebda. S. 15) Erst Mitte des 18. Jahrhundert, unter dem
preußischen König Friedrich Wilhelm II., wird sie befestigt und mehr schlecht als recht
befahrbar gemacht – und so bleibt es lange Zeit. Noch Adelbert von Chamisso sieht die
Kutschen 1822 vom Botanischen Garten aus (Gebiet des heutigen Kleistparks)
bedrohlich schwanken auf dem Holperweg.
Schöneberg ist zu jener Zeit ein Dorf vor den Toren der rasant wachsenden Stadt Berlin.
Die Potsdamer Straße, die durch die Äcker und Wiesen der Schöneberger Bauern führt,
ist ein beliebtes Ausflugsziel. Gasthäuser, Garten- und Bierlokale siedeln sich an; nach
und nach kommen Ferienwohnungen und Landhäuser für stadtüberdrüssige
Berliner/innen hinzu. Bis 1860 ist das einstige Ackerland bis zum Landwehrkanal
bebaut. Doch mit dem heutigen Erscheinungsbild der Straße hat es wenig gemein: Alte
Landgehöfte, klassizistische Landhäuser und Villen mit großzügigen Gärten säumen den
Weg. Erst ab 1861, als das Gebiet rund um die Potsdamer Straße der Boomtown Berlin
zugeschlagen wird, weichen diese peu á peu der typischen Blockbebauung. Damit
nimmt die so turbulente wie dichte Straßengeschichte ihren Lauf.
Der Verwaltungsdistrikt
Gleich wenn man mit Bowie aus dem ‚Anderen/Neuen Ufer’ tritt und quer über die
Kreuzung, nach der die Haupt- zur Potsdamer Straße wird, gen Süden schaut, fällt der
Blick auf steingewordene Historie. Dort wo sich einst Chamissos Arbeitsstätte – der
Botanische Garten – befand, beginnt der Verwaltungsabschnitt Potsdamer Straße, in
dem sich zu Bowies Zeiten flächendeckend die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) breit
gemacht haben. In dem monumentalen Sandsteinbau an der Ecke
Potsdamer-/Grunewaldstraße saß zuvor die Oberste Bauleitung der Deutschen
Reichsautobahn; heute sitzt hier die Hochschule der populären Künste. Gleich nebenan
steht ein zweites Exemplar nationalsozialistischer Verwaltungsarchitektur, in den Jahren
1938/39 für die Deutsche Milchwirtschaft erbaut, anschließend von der BVG genutzt,
steht es heute leer.
Königskolonnaden am Kleistpark - Foto: Lienhard Schulz via Wiki Commons |
Wenn wir weiter radeln, erleben wir jetzt die berlintypischen Zeitrhythmusstörungen:
Wir fallen von der Zeit des Nationalsozialismus ins 18. und gleich darauf ins 20.
Jahrhundert. Auf die Monumentalbauten der NS-Zeit folgt nun antikenverliebte Strenge:
die klassizistischen Königskolonnaden aus dem 18. Jahrhundert. Sie wirken ein wenig
fehl am Platze – und das sind sie auch. Ursprünglich säumten sie als Teil der
klassizistischen Gesamtensembles den Eingang zur alten Stadt Berlin am heutigen
Alexanderplatz. 1910 wurden sie zugunsten des Warenhauses Wertheim an den
Kleistpark verpflanzt. Seither dienen sie als Entree zum Heinrich-von-Kleist-Park und
geben den Blick frei auf das Kammergerichtsgebäude, in dem 1944/1945 'Hitlers
williger Vollstrecker' Roland Freisler die Schauprozesse gegen die Widerstandskämpfer
des 20. Juli 1944 leitete. Ob Bowie davon weiß? Vielleicht. Er beschäftigt sich viel mit
deutscher Kultur und Geschichte.
Heinrich-von-Kleist-Park mit Blick auf das "Kathreiner Haus" - Foto: Manfred Brückels via Wiki Commons |
Hinter den Königskolonnaden schießt das Kathreiner-Haus im Stil der Sachlichkeit in
die Höhe. Es wurde 1928 von dem Architekten, Möbeldesigner, Inneneinrichter und
Karikaturisten Bruno Paul (1874 bis 1968) für den Malzkaffee-Hersteller
Kathreiner entworfen. Paul gilt als Pionier der modernen Verwaltungsarchitektur und ist
heute doch kaum bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte erst die BVG, dann der
Berliner Senat das 9400qm große Gebäude. Seit 2012 steht es leer. Nur im
Eingangsbereich zur Potsdamer Straße hat sich ein Obdachloser zwischen Tütenbergen,
Konservendosenmauern und getrockneten Teebeuteln eingerichtet. An der Ecke
Potsdamer/Pallasstraße befindet sich das vorerst letzte Verwaltungsgebäude. Dort wo
seit 1981 das selbstverwaltete Jugendzentrum Drugstore zuhause ist, war einst der
Hauptsitz der nationalsozialistischen Einheitsgewerkschaft, der Deutschen Arbeitsfront
(DAF).
Mit Klick auf die Karte findet ihr Informationen und weitere Bilder zu den einzelnen Markierungen.
Mehr zum ersten Streckenabschnitt erfahrt ihr bei M i MA.
Nächste Woche geht es um den Vergnügungstempel, der zur Wohnmaschine wurde oder wie Bowie Zeuge eines der größten Bauverbrechen der Nachkriegszeit wurde.
Mehr zum ersten Streckenabschnitt erfahrt ihr bei M i MA.
Nächste Woche geht es um den Vergnügungstempel, der zur Wohnmaschine wurde oder wie Bowie Zeuge eines der größten Bauverbrechen der Nachkriegszeit wurde.
Ich freue mich schon drauf und hoffe, ihr radelt wieder mit.
Bis bald!
diefahrradfrau
Liebe Fahrradfrau,
AntwortenLöschenvielen Dank für die informative Reise "durch dat olle Berlin"schön siehts aus Freu mich schon auf den nächsten Abschnitt.
Liebe Grüße
vom muffin
Ich freue mich auch schon darauf, mit dir und euch weiterzuradeln. Liebe Grüße!
AntwortenLöschenCool, manchmal erfährt man selbst als alter Balina noch watt...
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Andrea
Ja gerne radel ich in Gedanken wieder mit, Deine Exkursion war sehr interessant.
AntwortenLöschenMeine Radelerfahrungen in Berlin hab ich am Prenzlauer Berg gemacht und vor lauter Verkehr nicht viel von der Umgebung und der Architektur mitbekommen, leider.
Lieben Gruß
Sabine
Tolle Idee, die vielen Stadtinfos mit David Bowie zu verknüpfen. Lese gerne bald weiter!
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